Digitalisierung

Eine Wundertüte namens Wirtschaft 4.0

Von Michael Gneuss · 2015

Für die einen ist es der Aufbruch in eine spannende Zukunft, andere versinken in Furcht vor den Veränderungen – Wirtschaft 4.0 lässt Chancen und Risiken in einem für uns unbekannten Ausmaß nebeneinander stehen. Dabei hat der Wandel das Leben schon immer begleitet – nur nicht in diesem Tempo. Firmenchefs und Arbeitnehmer sollten dennoch vor allem die positiven Seiten und Perspektiven im Blick haben.

Zwei Hände halten eine durchsichtige (Welt-)Kugel; Thema: Digitalisierung

Das iPhone wurde ein Riesenerfolg, iPad und iPod auch. Wenn Apple sein „i“ vor ein Produkt gesetzt hat, wurde für viele Verbraucher aus bekannter Ware ein völlig neues Erlebnis. Im Jahr 2019 soll es wieder soweit sein, dann will Unternehmenschef Tim Cook das Apple iCar präsentieren. Der automobile Wettbewerb ab 2020 könnte von ganz neuen Marken geprägt sein. Auch Google entwickelt einen PKW und Tesla hat sich bei Elektroautos schon einen Namen gemacht. Alle drei Hersteller könnten es schaffen, das Mobilitätsbedürfnis um ganz neue Kundenerfahrungen zu bereichern. Autonom ohne Fahrer und mit neuen Antriebstechnologien surren die Flitzer der Zukunft durch die Straßen. Und wo bleiben Toyota, Volkswagen, General Motors & Co?

Aufwachen!

Für das, was passieren kann, hat die Unternehmensberatung Roland Berger einen Begriff geprägt. Wer die Digitalisierung verschläft – so Berger – wird „ge-ubert“. Die neudeutsche Vokabel ist eine Anspielung auf das Start-up Uber, das es als Online-Vermittlungsdienst für Fahrdienstleistungen mit einer App geschafft hat, das Taxigewerbe in Aufruhr zu versetzen. In allen Branchen können einfache Start-ups mit digitalen Technologien, kreativen Ideen und umsetzungsstarken Gründern oder Managern etablierten Unternehmen Umsätze streitig machen – und zwar in einem Ausmaß und einem Tempo, das wir noch nicht erlebt haben. Nach einer Erhebung des US-Ökonomen John Hagel betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines Unternehmens 1940 noch 75 Jahre, mittlerweile sind es gerade noch 15. Damit etablierte Unternehmen die Zukunft nicht verschlafen, ertönt von vielen Seiten aus der digitale Weckruf, der auch kaum noch zu überhören ist. Dafür spricht unter anderem die Studie „Wirtschaft 4.0: Große Chancen, viel zu tun“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHk), für die fast 2000 Unternehmen befragt wurden. Ein Ergebnis war, dass immerhin 94 Prozent der befragten Unternehmer erklärten, die Digitalisierung beeinflusse bereits ihre Geschäfts- und Arbeitsprozesse. Vielversprechend ist, dass die Unternehmen die Entwicklung tendenziell positiv sehen. Immerhin 34 Prozent gaben an, dass sich die Digitalisierung vorteilhaft auf ihre Umsatzentwicklung auswirkt, nur acht Prozent erkannten einen Rückgang des Geschäftsvolumens. Hemmnisse auf dem Weg in die Wirtschaft 4.0 wurden indes in der IT-Sicherheit, in unzureichenden Breitbandanschlüssen und offenen Rechtsfragen gesehen.

Die Wirtschaft wird digital

Doch was heißt eigentlich „Wirtschaft 4.0“? Weitaus geläufiger unter den „4.0“-Begriffen ist Industrie 4.0 – eine Anspielung auf die vierte industrielle Revolution, die insbesondere durch eine zunehmende Vernetzung durch Maschine- zu-Maschine-Kommunikation sowie Big Data ermöglicht wird. Als einer der Erfinder des Begriffs Industrie 4.0 gilt der ehemalige SAP-Chef Henning Kagermann, der seit Juni 2009 als Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (AcaTech) amtiert. Kagermann ist auch einer der beiden Vorsitzenden des Arbeitskreises Industrie 4.0, der in seinem 2013 veröffentlichten Abschlussbericht die Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 entwickelt hat. Doch die Modernisierung der industriellen Produktion in diesem Sinne ist nur ein Teil der digitalen Transformation in den Unternehmen.

Ebenso gehört das dazu, was die AcaTech in ihrem Projekt „Smart Service Welt – internetbasierte Dienste für die Wirtschaft“ von November 2013 bis Juni 2015 untersucht und beschrieben hat. Die Idee: Die gigantischen Datenmengen, die in unserer hochvernetzten Gesellschaft produziert werden, können für innovative Produkte und Dienstleistungen genutzt werden, um Ressourcen zu schonen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Doch die AcaTech warnt auch: „Schaffen wir dies nicht, steht die technologische Souveränität Deutschlands und Europas auf dem Spiel. Große Internetfirmen aus den USA und China drängen mit personalisierten Diensten in immer mehr Branchen vor.“ Wirtschaft 4.0 ist also der umfassendere Begriff, der vor allem auch die Veränderungen in der Arbeitswelt einschließt. Rund um die digitale Transformation ranken sich die vielfältigsten Thesen zur künftigen Gestaltung der Arbeit. Oftmals wird Arbeitsplatzabbau damit gleichgesetzt, was aber nicht mit den Ergebnissen der DIHK-Studie im Einklang steht. Denn danach rechnen 23 Prozent der Unternehmen mit einem Anwachsen der Belegschaft durch die Digitalisierung, während 15 Prozent von einem Mitarbeiterabbau ausgehen. Der Rest sieht keinen Einfluss.

Qualifikation ist Trumpf

Dennoch ist die Arbeit ein wesentlicher Brennpunkt in der Wirtschaft 4.0. Schließlich sind Qualifikationen gefordert, die auf dem Arbeitsmarkt so leicht nicht zu finden sind – so zum Beispiel für die Sicherheit der IT-Infrastruktur. Wichtige Qualifizierungsthemen wurden im Rahmen der DIHK-Studie aber auch im Prozess-Know-how sowie der Prozessgestaltung und in den Bereichen e-Commerce, Online-Marketing und Kundenbeziehungsmanagement gesehen. Da diese Kompetenzen aber oft schwer aus eigener Kraft aufzubringen sind, greifen Unternehmen bei der Umsetzung der digitalen Transformation verstärkt auf externe Spezialisten zurück. Mehr als jeder zehnte Mitarbeiter in den Fachbereichen IT, Forschung & Entwicklung sowie Finanzen ist ein Freiberufler oder im Rahmen einer Arbeitsüberlassung tätig, haben der Personaldienstleister Hays und das Analyse- und Beratungsunternehmen PAC zum Status quo der digitalen Transformation in Unternehmen herausgefunden. Jeweils 43 Prozent der Befragten beschäftigten in den vergangenen zwölf Monaten Freiberufler und vergaben Projekte an externe Dienstleister. Und ihr Anteil wird in den nächsten Jahren weiter steigen. So erwarten 32 Prozent der befragten Fachbereichsleiter einen höheren Anteil Externer in ihrem Unternehmen. Dagegen rechnen nur elf Prozent mit sinkenden Zahlen. „Um die notwendige Agilität zu entwickeln, benötigen Unternehmen mehr denn je externe Unterstützung. Denn es ist kaum noch möglich und in der Regel auch nicht ökonomisch, alle für den digitalen Wandel benötigten Ressourcen intern bereitzustellen“, sagt Klaus Breitschopf, CEO der Hays AG.

Extreme Auswirkungen auf die Arbeitswelt erwartet auch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB). Neue Qualifikationen, permanente Weiterbildung, technologische Entwicklungen sind für das BiBB Kernelemente der Wirtschaft 4.0. Die IT hat dabei eine besondere Bedeutung. „Die Digitalisierung der Arbeitswelt erfordert von allen Erwerbstätigen künftig verstärkte IT-Qualifikationen“, hieß es beim Bundesinstitut anlässlich der Veröffentlichung einer Analyse mit dem Titel „IT-Berufe und IT-Kompetenzen in der Industrie 4.0“. Das Fazit ist indes positiv. Bei den IT-Kernberufen sehen die Experten Deutschland quantitativ gut aufgestellt, auch der steigende Bedarf an qualifizierten Fachkräften zur Umstellung der Produktionsprozesse auf Industrie 4.0 könne gedeckt werden. Allerdings weisen die BIBB-Forscher darauf hin, dass das Berufsfeld der IT-Kernberufe – zum Beispiel Datenverarbeitungsfachleute, Informatiker und Softwareentwickler – selbst nicht genügend Fachkräfte hervorbringt, sondern vielmehr von einem starken Zustrom an Erwerbstätigen aus artverwandten Berufsfeldern profitiert.

Die Bereitschaft zu Investitionen weltweit, nach Branchen. Quelle: Statista 2015

Digitalisierung: Deutschland wird mobil

Die CEO's müssen sich aber auch auf unternehmenskulturelle Veränderungen einstellen. Denn sie prägen mit ihren Angeboten nicht nur die Wirtschaft 4.0, im Umkehrschluss werden sie auch durch neue digitale Services anderer Anbieter verändert: Ihre Arbeitnehmer werden mobiler und nutzen eine immer größere Vielfalt an Endgeräten und Applikationen. Die IT überschreitet damit die Unternehmensgrenzen und ist immer schwerer zu kontrollieren. Mitarbeiter nutzen für ihre Arbeitsorganisation die Dropbox oder vernetzen sich – auch intern – über Plattformen wie Linkedin oder Xing. Und so praktisch und gut die Dropbox für den privaten Gebrauch auch sein mag, so unbeliebt ist sie bei den IT-Verantwortlichen der Unternehmen. US-Medien zufolge steht sie dort auf den Blacklists ganz oben. So bleibt ein Dilemma: Die Mobilität der Mitarbeiter sollte nicht gehemmt werden und dennoch muss die IT-Sicherheit gewährleistet sein. Vor dieser Aufgabe stehen die IT-Abteilungen unter dem Stichwort Enterprise Mobility Management.

Cloud spielt wichtige Rolle

Zu den wichtigsten Technologien der Wirtschaft 4.0 zählen auch Cloud-Services und Big Data. Ohne die Cloud sind viele der neuen digitalen Services schlicht nicht denkbar und datenbasierte neue Dienste gelten ohnehin als das Merkmal der digitalen Transformation. Denn mithilfe von Daten wird in der Wirtschaft 4.0 so ziemlich alles verbesser und optimiert – egal ob es zwei Beine, vier Räder oder lediglich eine virtuelle Existenz hat. So kann aufs Feinste beobachtet werden, was der Verbraucher will. Auch das Auto der Zukunft wird so perfektioniert werden – bleibt nur abzuwarten, von wem.

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